Stress – die endokrinen Grundlagen
Miles Orchinik ist Neurowissenschaftler, der untersucht welche Auswirkungen Stress auf Verhalten, Hirnfunktion und das endokrine System hat. In seiner Arbeitsgruppe werden zelluläre, molekulare und verhaltensbezogene Reaktionen auf Stress in eine Vielzahl von Tierarten untersucht. Im Gegensatz zu vielen andere Kollegen auf diesem Gebiet untersucht Orchinik auch die positiven Auswirkungen von Stress
Im ersten Teil seines Vortrages erklärt Miles Orchinik die neuroendokrinen Grundlagen von Stress:
Zunächst definiert er, was er unter Stress versteht: Stress wird durch einen Stressor (also einen Stimulus) ausgelöst. Dadurch gerät die Homöostase aus dem Gleichgewicht. Um die Homöostase wieder herzustellen, gibt es eine Stressantwort (Stressreaktion). Dabei spielen Stresshormone eine wichtige Rolle, vor allem aber Cortisol. Cortisol wird über die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse freigesetzt (siehe Infobox).
Cortisol sorgt dann unter anderem für die Freisetzung von Glukose im Blut, d.h. es sorgt dafür, dass Energie bereit gestellt wird. Weitere Wirkungen des Cortisols siehst du hier:
In bedrohlichen Situationen werden alle unwesentlichen Funktionen im Körper gedrosselt. So wird sicher gestellt, dass dem Körper genügend Ressourcen für eine angemessene Reaktion auf die Gefahr zur Verfügung stehen (zum Beispiel für die Flucht vor einem Raubtier). Diese Stressreaktion ist evolutionär hochkonserviert (d.h. sie ist bei allen Wirbeltieren sehr ähnlich), weil sie eine sehr wichtige Rolle für das Überleben und/oder die Fortpflanzung spielt.
„ Macht Stress krank? Nein, die physiologischen Reaktionen darauf machen krank“
Während akuter Stress also lebensnotwendig und weitgehend unbedenklich ist, kann chronischer Stress schwerwiegende Folgen haben: z.B. verschiedene psychische Erkrankungen wie Depression oder Angstzustände, aber auch physiologische Auswirkungen wie Bluthochdruck oder Diabetes.
Stress ist nicht gleich Stress!
Im zweiten Teil seines Vortrages stellt Orchinik heraus, dass Stress immer kontextbezogen betrachtet werden sollte. So gibt es deutliche individuelle Unterschiede, wie ein Stressreiz wahrgenommen wird – was also für den Einen eine stressige Situation darstellt, kann für einen Anderen völlig problemlos sein.
Aber natürlich gibt es auch artspezifische Unterschiede. Als Beispiel führt er den Einfluss von schlechten Wetter (starker Kälte) auf Vögel, die in der Arktis brüten, an. Während Temperaturen weit unter 0°C vermutlich bei den meisten Vögeln Stress auslösen würde, ist das bei diesen Vögeln nicht der Fall – weil sie eben an diese Temperaturen angepasst sind und die Situation so „kontrollierbar“ ist.
Genau diese Kontrollierbarkeit des Stressreizes hat auch einen enormen Einfluss auf die Stressreaktion. So hat sich in einem Experiment an Ratten gezeigt, dass die Immunreaktion auf einen Schock vor allem dann beeinträchtigt ist, wenn das Tier den elektrischen Reiz nicht kontrollieren kann. In diesem Experiment wurden Ratten in 2 Gruppen aufgeteilt: die eine Gruppe bekam regelmäßige leichte Elektroschocks und konnte diese beenden, indem es ein Laufrad im Käfig betätigte. Die Tiere der anderen Gruppe hatten keine Möglichkeit, Einfluss auf die Länge des Schocks zu nehmen. Es waren jeweils ein Tier aus der ersten und zweiten Gruppe miteinander verbunden – wenn also das Tier aus der ersten Gruppe das Laufrad betätigte, hörte der elektrische Reiz auch bei dem Tier der zweiten Gruppe auf. Die Tieren waren also exakt den gleichen Stromstößen ausgesetzt. Allerdings war die Aktivität der Lymphozyten vor allem bei den Tieren beeinträchtigt, die den Reiz nicht kontrollieren konnten.
Erfahrung und Epigenetik spielen wichtige Rolle
Neben den kontextspezifischen Wirkungen, die je nach Situation unterschiedlich ausfallen können, haben auch bestimmte Erfahrungen und die daraus resultierenden epigenetischen Änderungen einen großen Einfluss auf die Stressreaktion.
So zeigen Erwachsene, die in großer Armut aufgewachsen sind und damit in ihrer Kindheit anhaltendem Stress ausgesetzt waren, veränderte Abläufe in der Verarbeitung von Stress und Emotionen.
In einem weiteren Experiment mit Ratten konnte gezeigt werden, dass das Verhalten der Mutter einen Einfluss auf die Ausbildung von Cortisol-Rezeptoren hat. Dabei hat sich gezeigt, dass Ratten, die von einer fürsorglichen Mutter aufgezogen wurden, eine höhere Methylierungsrate des Cortisol-Rezeptor-Gens aufweisen.
Unsere Einstellung zum Stress ist entscheidend!
Aber es ist nicht nur wichtig in welcher Situation der Stress auftritt oder welche Erfahrungen wir gemacht haben – es ist vor allem auch wichtig, wie unsere Einstellung dem Stress gegenüber ist. So zeigen die Ergebnisse einer Studie, dass Stress zwar das Sterblichkeitsrisiko erhöht – allerdings nur unter denjenigen, die auch glauben, dass Stress ihrer Gesundheit schadet.
Außerdem kann auch unser Verhalten anderen Menschen gegenüber die Auswirkungen von Stress beeinflussen. So zeigen Menschen, die anderen Menschen helfen, trotz hohem Stress keine erhöhte Sterblichkeit. Vermutlich sind Oxytocin, Prolaktin und andere neurochemischen Stoffe für diese Stressreduzierung verantwortlich.
Macht Stress dumm?
Im zweiten Vortrag an diesem Tag geht Cheryl Conrad der Frage nach, ob Stress dumm macht.
Cheryl Conrad ist Professorin für verhaltensbezogene Neurowissenschaften an der Arizona State University. Dort erforscht sie, durch welche Mechanismen Stress die neuronale Plastizität beeinflusst. In ihrer Arbeitsgruppe werden hauptsächlich Studien zu chronischen Stress an Ratten durchgeführt.
In ihrem Vortrag wird sie aufzeigen, wie eine einzelne stressige Episode das Gedächtnis beeinflussen kann. Im weiteren Verlauf der Vorlesung wird sie darauf eingehen, wie das Gedächtnis unter anhaltendem, chronischem Stress leidet.
Auswirkungen von akutem Stress
Bereits zum Anfang ihres Vortrages stellt Conrad eine Studie vor, die zeigt, dass Stress nicht per se das Lernvermögen beeinträchtigt. Ganz im Gegenteil: Ein mittlerer Stressreiz verbessert den Lernerfolg sogar im Vergleich zu einem schwachen oder einem starken Stressreiz.
There´s an optimum level in which stress can be adavantageous on learning. #SPARCS2015 pic.twitter.com/ygHLF01tTh
— Helena Truksa (@HelenaTruksa) June 21, 2015
Auswirkungen von chronischem Stress
Im weiteren Verlauf des Vortrages konzentriert sich Conrad vor allem auf die Auswirkungen von chronischem Stress auf die Struktur des Hippocampus.
In ihren Studien konnte Conrad zeigen, dass chronischer Stress die Hirnstruktur und –funktion verändern kann. So werden die Verästelungen der Neuronen im Hippocampus dezimiert.
#SPARCS2015 pic.twitter.com/CoVrAQ3HwV
— ZoePhee (@zoepheedogs) June 21, 2015
Allerdings können diese Effekte auf die Struktur des Hippocampus durch genügend Erholungszeit, Beschäftigung, Sport oder Antidepressiva rückgängig gemacht werden.
#SPARCS2015 pic.twitter.com/Ulc4RYde7B
— ZoePhee (@zoepheedogs) June 21, 2015
Die potentiellen Folgen von chronischem Stress (wie z.B. erhöhte Ängstlichkeit, depressives Verhalten oder beeinträchtigtes Lernvermögen) können also durch die Kontrolle über den Stressreiz, die Vorhersehbarkeit sowie eine effektive Bewältigunsstrategie (z.B. durch körperliche Aktivität) deutlich minimiert werden.
Zum Schluss noch ein schönes Zitat von Miles Orchinik:
„Das Leben ist stressig – das ist aber nicht immer eine schlimme Erfahrung!“
Die Zusammenfassungen weiterer Vorträge findet ihr hier:
„Lernen und Gedächtnis“ – Teil 1: Über die Gesetze der Verknüpfung und mentale Zeitreise bei Tieren:
https://hundeprofil.de/lernen-und-gedaechtnis-zusammenfassung/
„Lernen und Gedächtnis“ – Teil 2: Über die Forschung zu individuellen Unterschieden bei Hunden und wie soziales Lernen in der Hund-Mensch-Interaktion funktioniert:
https://hundeprofil.de/sparcs2015-lernen-und-gedaechtnis-teil-2/
„Hunde rund um die Welt“- Teil 1: Über die Jagd mit Hunden im nicaraguanischen Regenwald und warum nicht jeder Streuner ein Zuhause sucht:
https://hundeprofil.de/hunde-rund-um-die-welt-teil-1-sparcs2015
„Hunde rund um die Welt“ – Teil 2: Was die neue Wissenschaft der Mensch-Tier-Interaktionen über unsere Beziehung zu Hunden aussagt:
https://hundeprofil.de/hunde-rund-um-die-welt-teil-2-sparcs2015
„Stress bei Hunden“ – Teil 2: Über die Komplexität von Stresssignalen sowie verschiedene Stress-Reaktions-Muster und Stressbewältigungsstrategien:
https://hundeprofil.de/stress-bei-hunden-teil-2-sparcs2015/
Bildnachweis:
„Chihuahua panting“ von James White/Flickr unter CC
„1_26_04boverlay“ von mark Miller/Flickr unter CC
Pingback:KynoLogisch | Lernen und Gedächtnis – Teil 2 – SPARCS2015
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Wirklich toller Beitrag zum Thema Stress. Tolle Fakten, super geschrieben – ich bin begeistert! Habe eure Seite abgespeichert und werde noch öfter vorbei kommen. Weiter so!
Vielen Dank! 🙂