Gibt es Dominanzstrukturen bei Hunden?

Im letzten Beitrag ging es um das Konzept der Dominanz in der Verhaltensbiologie und warum diese für das Leben von sozial lebenden Tieren eine große Bedeutung hat.

Im heutigen Artikel möchte ich der Frage nachgehen, ob es bei Wölfen und (wildlebenden) Hunden Dominanzstrukturen gibt.

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Dominanzstrukturen bei Wölfen?

Dass es Dominanzstrukturen bei Wölfen gibt, ist schon lange belegt. In den letzten Jahren wird diese Tatsache allerdings beharrlich diskutiert.

Ältere Verhaltensbeobachtungen zeigten, dass Wölfe in Gefangenschaft strikte Hierarchien bilden und die Rangordnung innerhalb dieses Rudels durch agonistische Auseinandersetzungen geklärt wurden. Allerdings sind die in Gefangenschaft lebenden Wölfe oft „zusammengewürfelt“ und deshalb lassen sich diese Beobachtungen nicht unbedingt auch auf wildlebende Wölfe übertragen. Denn mittlerweile weiß man, dass wildlebende Wolfsrudel zumeist aus einem Elternpaar und deren Nachkommen bestehen und somit eine Familie bilden. Wie auch in menschlichen Familien herrscht dort eine Art „natürliche Dominanz“. Das bedeutet, dass die Elterntiere dominant gegenüber ihren Nachkommen sind. Außerdem dominieren die älteren Geschwister die Jüngeren.

So weit so gut. Nun hält sich auch das Argument hartnäckig, dass Hunde ja aber keine Wölfe sind und es deswegen bei Hunden ganz anders abläuft. Ist das so?

Dominanzstrukturen bei Hunden?

Roberto Bonanni, Simona Cafazzo und deren Kollegen begleiten seit einigen Jahren mehrere wildlebende Hunderudel in der Nähe von Rom und untersuchen deren Verhalten und Gruppenstrukturen. Unter anderem haben sie untersucht, ob es eine hierarchische Dominanzstruktur in diesen Populationen gibt und welche Tiere die Gruppe besonders häufig anführen. Dazu haben sie die Dominanzbeziehungen der einzelnen Tiere untereinander beobachtet und sowohl die formalen Dominanzsignale (also Signale, die kontextunabhängig und auch außerhalb von agonistischen Auseinandersetzungen auftreten und die Anerkennung des höheren Status des anderen anzeigen) als auch das Dominanzverhältnis in agonistischen Auseinandersetzungen (agonistische Dominanz) registriert und ausgewertet.

Aufgrund dieser Daten, konnten Bonanni, Cafazzo und Kollegen zeigen, dass es in den von ihnen untersuchten Gruppen sehr wohl eine Dominanzhierarchie gibt. Dabei sind die älteren Tiere dominant gegenüber den Jüngeren. Außerdem sind gleichaltrige Rüden dominant gegenüber den Hündinnen (allerdings sind ältere Hündinnen dominant gegenüber jüngeren Rüden).

Die Struktur des Rudels ähnelt also denen von typischen Wolfsfamilien, in dem die (logischerweise) älteren Eltern dominant gegenüber ihrem Nachwuchs sind und auch die älteren Geschwister die jüngeren dominieren.

Diese Ergebnisse widersprechen klar den Vermutungen, dass Hundeverbände keine hierarchische Struktur hätten. Die Fähigkeit, strukturierte Rudel mit Artgenossen zu bilden ist also nicht während der Domestikation verloren gegangen.

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Auswirkungen der Dominanzhierarchie auf die Gruppe

Diese Dominanzhierarchie hat in mehreren Aspekten Einfluss auf die Gruppendynamik. Zum einen führen dominanten Individuen öfter die Gruppe an, entscheiden beispielsweise welche Wege gegangen oder wann Rivalen angegriffen werden. Die Gruppe ist also auf die Erfahrung und die Sozialkompetenz des „Anführers“ angewiesen. Interessanterweise werden vor allem die hochrangigen Hunde als „Anführer“ betrachtet, die besonders viele affiliative Beziehungen haben und nicht diejenigen, mit denen es viele agonistische Auseinandersetzungen gibt. Die Autoren schließen daraus, dass die niederrangigen Tiere zu diesen „Anführern“ eine engere Bindung haben und sie als Sozialpartner bevorzugen.

Zum anderen hat die Hierarchie auch Auswirkungen auf das Paarungsverhalten innerhalb der Hundegruppen. Empfängnisbereite Hündinnen suchen besonders oft die Nähe von hochrangigen Rüden. Allerdings bevorzugen sie dabei vor allem diejenigen, die ihnen gegenüber freundliches, liebevolles Verhalten zeigen. Im Gegensatz dazu meiden sie hochrangige Rüden mit bedrohlichen, einschüchternden Verhalten.

Aber auch die Rüden bevorzugen höherrangige Hündinnen. So ist die Rivalität zwischen Rüden größer, wenn eine läufige Hündin mit hohem Rang in der Nähe ist.

Außerdem haben höherrangige Rudelmitglieder den Vortritt beim Futter bzw. können beeinflussen, wer wie viel Futter bekommt. Dabei zeigen sie sich gegenüber niederrangigen Jungtieren deutlich toleranter als subdominanten Halbwüchsigen gegenüber.

Dominanz verhindert körperliche Auseinandersetzungen!

Die Ergebnisse der Untersuchungen zeigen auch, dass in stabilen Hundegruppen – wie unter Wölfen auch – formale Dominanzgesten, welche nicht unbedingt aggressive Komponenten beinhalten, völlig ausreichen um den sozialen Status aufrecht zu erhalten.

Wie schon in dem vorangegangenen Artikel erläutert dient eine Dominanzhierarchie dazu, das Gruppengefüge stabil zu halten und Konflikte zu verhindern. Aggressive Auseinandersetzungen werden dadurch möglichst gering gehalten. Eine Dominanzstruktur sorgt also für ein friedliches Zusammenleben im Sozialverband.

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Weiter Artikel zum Thema findest du hier:


Referenzen:

Bonanni, R., Cafazzo, S., Valsecchi, P., & Natoli, E. (2010). Effect of affiliative and agonistic relationships on leadership behaviour in free-ranging dogs. Animal Behaviour, 79(5), 981-991.

Cafazzo, S., Bonanni, R., Valsecchi, P., & Natoli, E. (2014). Social Variables Affecting Mate Preferences, Copulation and Reproductive Outcome in a Pack of Free-Ranging Dogs. PloS one, 9(6), e98594.

Cafazzo, S., Valsecchi, P., Bonanni, R., & Natoli, E. (2010). Dominance in relation to age, sex, and competitive contexts in a group of free-ranging domestic dogs. Behavioral Ecology, 21(3), 443-455.

Mech, L. D. (1999). Alpha status, dominance, and division of labor in wolf packs. Canadian Journal of Zoology, 77(8), 1196-1203.

Mech, L. D. (2000). Leadership in wolf, Canis lupus, packs. Canadian Field-Naturalist, 114(2), 259-263.

Schenkel, R. (1967). Submission: its features and function in the wolf and dog. American Zoologist, 7(2), 319-329.

Bildnachweis:

Wölfe: „DSC00155“ von patries71/ flickr unter CC

Hunde: „P9111725“ von Hunter Desportes/ flickr unter CC

4 Kommentare

  1. So viele Signale zur Konfliktvermeidung und meine eigenen Beobachtungen haben mich schon immer darauf schließen lassen, daß Hunde keinen Bock auf Konflikte haben. Schön, daß es eine Studie gibt, die das bestätigt.

    Und daß es mittlerweile genügend Hundehalter, die bewiesen haben, daß man für die Erziehung keine Konflikte brauch. Nein, ich denke dabei nicht an Hunde, die nur fies durchkonditioniert wurden (furchtbar). Ich denke vor allen an Körpersprache (nicht Korrekturen), Souveränität (dank Erfahrung), Nachahmung (bewusste Vorbildfunktion) und Gewöhnung (mit Geduld).

    Keine Ahnung, ob das bei wirklich allen Hunden funktioniert, ich finde es aber doch ein wenig auffällig, daß es die „schwierigen“ Hunde immer nur bei den Menschen gibt, die schon Welpen absichtlich in Konflikte bringen müssen, um sie zu erziehen. Daß solche Menschen dann mit erwachsenen Hunden überfordert sind und Konflikte aufkommen, find ich nur allzu logisch.

    Könnte man für eine Studie nicht viele Trainer bitten ihre Hunde zu filmen, wenn sie mal etwas länger, als sonst weg warum, um zu gucken bei welchen Trainern mehr formale Dominanzsignale bei der Begrüßung beobachtet werden können? Wäre doch enorm aussagekräftig (und auch verdammt witzig), wenn ausgerechnet die Hunde von Tsd-Trainern formal unterwürfiger wären, oder?

  2. Pingback:Die 7 häufigsten Fehler in der Hundeerziehung und wie du sie vermeiden kannst – Wiehenschnauzen

  3. Ganz wunderbar sachlich geschrieben. Danke dafür Marie.

    Heutzutage wird oft gesagt, dass es unter Hunden keinerlei Dominanzstrukturen geben würde. Das ist nicht der Fall. Es ist völlig kontraproduktiv eine Tatsache zu negieren, um damit die eigene „nette“ Trainingsweise zu rechtfertigen (meist in Abgrenzung zu all denjenigen die von Dominanz reden und grds. natürlich alle tierschutzrelevant arbeiten und ja gar keine Ahnung haben). Dominanz gibt es-heißt das also, dass wir nun permanent den Chef raus hängen lassen müssen? Der Artikel gibt die Antwort:
    “ Interessanterweise werden vor allem die hochrangigen Hunde als „Anführer“ betrachtet, die besonders viele affiliative Beziehungen haben und nicht diejenigen, mit denen es viele agonistische Auseinandersetzungen gibt. Die Autoren schließen daraus, dass die niederrangigen Tiere zu diesen „Anführern“ eine engere Bindung haben und sie als Sozialpartner bevorzugen.“

    An dieser Stelle können also alle wieder aufatmen. Dem Hund permanent einen auf den Deckel zu geben, ist weder nötig noch förderlich. Warum es aber sinnvoll ist, selber auch mal Grenzen zu setzen in dominanter Gestik, findet man hier:
    „Die Ergebnisse der Untersuchungen zeigen auch, dass in stabilen Hundegruppen – wie unter Wölfen auch – formale Dominanzgesten, welche nicht unbedingt aggressive Komponenten beinhalten, völlig ausreichen um den sozialen Status aufrecht zu erhalten.
    Wie schon in dem vorangegangenen Artikel erläutert dient eine Dominanzhierarchie dazu, das Gruppengefüge stabil zu halten und Konflikte zu verhindern. Aggressive Auseinandersetzungen werden dadurch möglichst gering gehalten. Eine Dominanzstruktur sorgt also für ein friedliches Zusammenleben im Sozialverband.“

    Keiner muss den Hund auf den Rücken legen um „Chef“ zu sein. Ein bevorzugter Sozialpartner ist man, indem man den Hund entsprechend FÜHRT, mit Souveränität, Weitsicht handelt, Gefahren abwehrt und als Ansprechpartner da ist. Seid nett zu euren Hunden! Sie aber auf ein reines Reiz-Reaktions-Maschinchen zu reduzieren, wird dieser wunderbaren Kreatur und der einzigartigen Verbindung zu dieser einfach nicht gerecht. Es gibt viel mehr als nur Strafe und Lob. Ich kann nett zu meinen Hunden sein und gleichzeitig aufkommende Konflikte mit klarer Körpersprache im Keim ersticken. Diese Körpersprache auf „Strafe“ zu reduzieren, geht an dem Kern des Ganzen einfach vorbei.

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