In der Hundeszene gibt es zahllose Artikel über Dominanz. Leider behandelt ein großer Teil dieser Artikel das Thema sehr emotional und wenig sachlich. Zumeist kommt man dann zu dem Schluss, dass die „neusten wissenschaftlichen Erkenntnisse“ zeigen würden, dass es unter Hunden (und Wölfen) keine Dominanzstrukturen gäbe. Und außerdem sei Dominanz per se etwas ganz furchtbar Schreckliches und immer mit Gewalt und Unterdrückung verbunden.
In diesem und dem folgenden Artikel möchte ich versuchen, das Thema etwas sachlicher anzugehen.
In diesem Beitrag gehe ich der Frage nach: Was ist Dominanz (aus verhaltensbiologischer Sicht) und wozu ist sie gut? Im nächsten Artikel werde ich mich dann der Frage widmen, ob es nun Dominanzstrukturen unter Hunden gibt oder nicht.
Was ist Dominanz?
Zu Beginn erst einmal eine nüchterne verhaltensbiologische Definition:
Dominanz beschreibt ein asymmetrisches Verhältnis in der Beziehung zwischen zwei Individuen. Das Dominanzverhältnis sagt das Verhalten der beteiligten Individuen voraus: zum einen treten bestimmte Verhaltensweisen nur in eine Richtung auf (zum Beispiel wird Demutsverhalten in der Regel vom rangniedrigeren Tier ausgehen) und zum anderen treten ähnliche Verhaltensweisen in verschiedenen Kontexten auf (beispielsweise wird das dominante Individuum sowohl in einem Wettbewerb um einen Paarungspartner, als auch um Futter als „Sieger“ hervorgehen).
Allerdings ist dieses Verhältnis natürlich nicht in Stein gemeißelt. Es sollte eher als Konvention betrachtet werden, da niemals 100% aller Interaktionen vorhersehbar sind – denn es spielen selbstverständlich auch noch andere Faktoren, wie zum Beispiel Motivation, eine Rolle spielen.
Es gibt zwei Möglichkeiten, die Dominanz zwischen zwei Individuen festzustellen: Entweder man untersucht, von welchem Tier die Aggressionen ausgehen, oder welches Tier unterwürfiges (submissives) Verhalten zeigt.
Auf die Aggression kann entweder mit Unterwerfung, mit Gegenaggression oder mit Ignoranz reagiert werden. Weil in den letzten beiden Fällen keine Rückschlüsse auf das Dominanzverhältnis möglich wären, eigenen sich submissive (=unterwürfige) Signale deutlich besser, um die Dominanzbeziehung zwischen zwei Individuen zu analysieren – diese sind nämlich (fast) immer gerichtet und gehen von dem subdominanten Tier aus.
Wörterbuch zur Verhaltensbiologie der Tiere und des Menschen
Wörterbuch zur Verhaltensbiologie der Tiere und des Menschen
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Agonistische und formale Dominanzsignale
Submissives Verhalten wird oft in zwei Kategorien eingeteilt: Zum einem als Reaktion auf aggressive Verhaltensweisen oder Imponiergehabe (agonistische Dominanz) und zum anderen als formale Dominanzsignale, die außerhalb von Konfliktsituationen auftreten (zum Beispiel bei der Begrüßung). Diese beiden Kategorien sind natürlich nicht getrennt von einander zu betrachten, sondern sie überlagern sich.
Indem das unterlegene Individuum den höheren Status des Anderen durch hochritualisierte kommunikative Signale formal anerkennt, geht es Streitigkeiten aus dem Weg. Diese formalen Dominanzsignale sorgen dafür, dass die Beziehung zwischen zwei Individuen stabil und stressfrei verläuft und aggressive Konflikte selten auftreten. Formale Dominanzsignale sind somit auch die Grundlage dafür, dass Beziehungen zwischen ranghöheren und rangniedrigeren Individuen affiliativ sein können, das heißt, dass eine soziale Annäherung stattfinden kann. Dazu gehören zum Beispiel Fellpflege, Kontaktliegen oder auch Spiel. Das wäre ohne das „soziale Gerüst“ der Dominanz nicht möglich.
Die Dominanzbeziehung etabliert sich also meist nicht, weil der dominante Part seinen Status aggressiv einfordert, sondern weil der Rangniedere die Überlegenheit anerkennt. Oder um es mit den Worten Rudolf Schenkels zu sagen: „Unterordnung ist die Bemühung des Unterlegenen, eine freundliche und harmonische Integration zu erlangen“.
Bei den allermeisten Tierarten haben ältere, erfahrene Gruppenmitglieder den höheren Rang. Denn neben den „Vorteilen“ einer hohen Stellung in der Gruppe, wie zum Beispiel den Vorrang in Konkurrenzsituationen um Futter oder Geschlechtspartner, haben dominante Tiere auch „Pflichten“, beispielsweise den Schutz gegen Angriffe von außen und Schlichtung von Streit unter subdominanten Individuen. Dafür braucht es Erfahrung und soziale Kompetenz. Das dominante Individuum einer Gruppe wird also nicht immer und ständig auf seine Position beharren und die anderen unterdrücken. Im Gegenteil: ein souveräner „Anführer“ zeichnet sich dadurch aus, dass er nur in wirklich wichtigen Situationen seinen Willen durchsetzt. Zum Beispiel zeigen Studien mit Javaneraffen und Saatkrähen, dass die dominanten Individuen öfter prosoziales Verhalten zeigen und mehr Futter teilen als die rangniedrigeren Gruppenmitglieder.
Dominanz sorgt für ein stabile, stressfreie Beziehung
Entgegen der allgemeinen Annahme führt Dominanz nicht zu mehr Auseinandersetzungen – ganz im Gegenteil: Dominanz dient in erster Linie dazu, Konflikte relativ friedlich zu lösen und körperliche Auseinandersetzungen zu vermeiden. Wenn es zum Beispiel um eine Ressource geht, wird diese üblicherweise dem dominanten Individuum überlassen, ohne dass es zu einem Kampf kommt.
Dominanz wird in der Verhaltensforschung also als wichtiges Element betrachtet, um soziale Verbände zu strukturieren und ein friedliches Miteinander zu sichern.
Im nächsten Artikel werde ich versuchen, die Frage zu beantworten, ob es Dominanzstrukturen bei Hunden gibt.
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Referenzen:
Bildnachweis:
Wölfe: „DSC03588“ von patries71/ flickr unter CC
Affen: „So happy together!“ von patries71/ flickr unter CC
Aha. Eltern sind also dominant über ihre Kinder.
Ne, Herr Nijboer, so einfach ist es eben nicht. Eltern sind die Schutzbeauftragten der Kinder, und tragen die Verantwortung. Daraus ergeben sich eben ganz andere Ansprüche an die Eltern/ Kind Beziehung als die Herrschaftsansprüche, die die veralteten Dominanztheorien suggerieren möchten.
Genauso ist das auch bei Hunden. Ich muss nicht „dominant“ über meinen Hund sein. Ich brauche das nicht. Mein Hund ist erstaunlicherweise auch nicht dominant über mich und hat trotz eines Wolfsanteils von 30-40 Prozent bislang die Weltherrschaft noch nicht an sich gerissen. Wir sparen unsere Zeit und Energie vor allem bei einem: Uns mit irgendwelchen Trainern der Industrie herumzuschlagen. Stattdessen leben wir einfach zusammen und fühlen uns wohl. Übrigens: Ein erwachsener älterer Hund kann viel mehr werden als der Schutzbefohlene: er kann unser bester Freund werden, unser tief geliebtes Familienmitglied mit dem wir eine symbiotische Beziehung eingegangen sind. Ein weises Wesen von dem wir viel lernen können. ( Vorausgesetzt, wir machen uns von all diesen unsinnigen Dominanzkonzepten frei!). Je tiefer die Beziehung umso größere Wunder sind möglich. Der Raum nach oben hin ist unbegrenzt offen!
He he endlich ein Ende der komische Modewellen in der Hundeszene. Und ein normales Verständnis von Dominanz. Eine Hierarchie hat als Ziel keine Zeit mit Aggression zu vertun sondern in Gegenteil Energie sparen für die andere lebenspraktische Fertigkeiten, die durch soziale Hierarchie in Zusammenarbeit durchgeführt werden. Also weniger Aggression mehr Harmonie. Elternrollen werden nicht von Situation zu Situation gewechselt. Die Parentale Rolle ist nicht Zeit und situationsbedingt.