Welche Rolle spielt Dominanz in der Hund-Mensch-Beziehung?

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Um diese Frage zu beantworten, möchte ich erst einmal klären, was ich (und die allermeisten Kolleg:innen aus der Verhaltensbiologie) unter Dominanz verstehe:

 

Dominanz beschreibt ein asymmetrisches Verhältnis in der Beziehung zwischen zwei Individuen. Das Dominanzverhältnis sagt das Verhalten der beteiligten Individuen voraus: zum einen treten bestimmte Verhaltensweisen nur in eine Richtung auf (zum Beispiel wird Demutsverhalten in der Regel vom rangniedrigeren Tier ausgehen) und zum anderen treten ähnliche Verhaltensweisen in verschiedenen Kontexten auf (beispielsweise wird das dominante Individuum sowohl in einem Wettbewerb um einen Paarungspartner, als auch um Futter als „Sieger“ hervorgehen).

Diese Dominanzbeziehungen sind nicht nur situativ bedingt, sondern zeigen sich in verschiedenen Kontexten (mehr zur verhaltensbiologischen Definition von Dominanz findest du HIER).

Im Gegensatz zur allgemeinen Annahme, hat soziale Dominanz selten mit Aggression oder Gewalt zu tun. Ganz im Gegenteil: Dominanz dient in erster Linie dazu, körperliche Auseinandersetzungen zu vermeiden.

 

Die Dominanzbeziehung etabliert sich also meist nicht, weil der dominante Part seinen Status aggressiv einfordert, sondern weil der Rangniedere die Überlegenheit anerkennt. Oder um es mit den Worten Rudolf Schenkels zu sagen: „Unterordnung ist die Bemühung des Unterlegenen, eine freundliche und harmonische Integration zu erlangen“.

 Bei den allermeisten Tierarten haben ältere, erfahrene Gruppenmitglieder den höheren Rang. Denn neben den „Vorteilen“ einer hohen Stellung in der Gruppe, wie zum Beispiel den Vorrang in Konkurrenzsituationen um Futter oder Geschlechtspartner, haben dominante Tiere auch „Pflichten“, beispielsweise den Schutz gegen Angriffe von außen und Schlichtung von Streit unter subdominanten Individuen. Dafür braucht es Erfahrung und soziale Kompetenz. Das dominante Individuum einer Gruppe wird also nicht immer und ständig auf seine Position beharren und die anderen unterdrücken. Im Gegenteil: ein souveräner „Anführer“ zeichnet sich dadurch aus, dass er nur in wirklich wichtigen Situationen seinen Willen durchsetzt. Zum Beispiel zeigen Studien mit Javaneraffen und Saatkrähen, dass die dominanten Individuen öfter prosoziales Verhalten zeigen und mehr Futter teilen als die rangniedrigeren Gruppenmitglieder.

Dominanz bei Hunden?

 

Dass es feste, lineare und kontextunabhängige Dominanzhierarchien bei Hunden gibt, konnte mittlerweile sowohl in Studien mit wildlebenden Hunden, als auch mit Haushunden gezeigt werden.

Wie vor allem die Studien an wildlebenden Hunde gezeigt haben, hat diese Dominanzhierarchie Einfluss auf verschiedene Aspekte im Zusammenleben:

Die Rangordnung wird vor allem durch formale Dominanzsignale etabliert und aufrecht erhalten (eine Erklärung dieser Signale findest du HIER).

Die Häufigkeit bzw. Intensität der aggressiven Verhaltensweisen ist kein Indikator für die Rangordnung. Besonders aggressive Tiere sind also nicht automatisch ranghöher. Ganz im Gegenteil: Da die Gruppe auf die Erfahrung und Sozialkompetenz des „Anführers“ angewiesen ist, werden vor allem diejenigen Individuen als „Anführer“ betrachtet, die besonders viel affiliative Beziehungen haben. Es wird vermutet, dass die niederrangigen Tiere den „Anführer“ als Sozialpartner bevorzugen und eine besonders enge Bindung zu ihm haben.

 

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Auf die Hund-Mensch-Beziehung übertragbar?

 

Häufig stoße ich auf die Annahme, dass Anwendung des Dominanz-Hierarchie-Modells auf die Hund-Mensch-Beziehung zu einer Erhöhung von aggressiven Handlungen führen würde bzw. dass es Trainingsmethoden, die auf starken Zwang und Bestrafung basieren, rechtfertigen würde. Allerdings stimmt diese Annahme nur, wenn man Dominanz mit Aggression gleichsetzt. Wie oben schon ausführlich dargelegt, ist dem aber nicht so. Ganz im Gegenteil: Soziale Dominanz hat sich entwickelt, um die Kosten und Risiken von eskalierenden Kämpfen zu vermeiden, da es den Ausgang des Kampfes vorhersagbar macht. Mit anderen Worten: Dominanz hat sich entwickelt, um Gewalt möglichst gering zu halten und nicht, um sie zu erhöhen.

Nun betrachte ich die Lebenssituation mit meinen beiden Hunden:

  • Ich entscheide, was es wann zu futtern gibt (und dass Joggerscheiße nicht auf den Speiseplan gehört).
  • Ich entscheide, wann wir spazieren gehen und wohin.
  • Ich entscheide, zu wem meine Hunde Kontakt haben.
  • Ich entscheide, wann und mit wem sich meine Hunde paaren dürfen (bzw., dass sie es eben nicht dürfen).

Kurzum: ich entscheide über so ziemlich alle Aspekte im Leben meiner Hunde. Somit habe ich tatsächlich keinen Grund anzunehmen, dass ich nicht der dominante Part in unserer Beziehung bin. Und ehrlich gesagt fänd ich es auch merkwürdig, wenn es nicht so wäre.

Selbstverständlich tue ich das immer mit der Prämisse, dass es meinen Hunden dabei gut geht. Ich muss nicht ständig und immer auf meiner Position beharren, aber wenn es drauf ankommt, gibt es keine Diskussion, dass ich entscheide, wie wir vorgehen. Ich muss auch keinen Alphawurf oder sonstige merkwürdige Methoden anwenden – denn, um es nochmals zu betonen: DOMINANZ HAT NICHTS MIT GEWALT ZU TUN! Meine Hunde vertrauen mir und sie folgen mir gern. Ich bin ihr wichtigster Sozialpartner. Sie wissen, dass ich für sie sorge und sie beschütze.

„Du bist zeitlebens für das verantwortlich, was du dir vertraut gemacht hast“
Antoine de Saint-Exupéry


Weiter Artikel zum Thema findest du hier:

Dominanz – der Versuch einer sachlichen Betrachtung

Gibt es Dominanzstrukturen bei Hunden?

 

 


Quellen:

Bonanni, R., Cafazzo, S., Valsecchi, P., & Natoli, E. (2010). Effect of affiliative and agonistic relationships on leadership behaviour in free-ranging dogs. Animal Behaviour, 79(5), 981-991.

Cafazzo, S., Bonanni, R., Valsecchi, P., & Natoli, E. (2014). Social Variables Affecting Mate Preferences, Copulation and Reproductive Outcome in a Pack of Free-Ranging Dogs. PloS one, 9(6), e98594.

Cafazzo, S., Valsecchi, P., Bonanni, R., & Natoli, E. (2010). Dominance in relation to age, sex, and competitive contexts in a group of free-ranging domestic dogs. Behavioral Ecology, 21(3), 443-455.

Deag, J. M. (1977). Aggression and submission in monkey societies. Animal Behaviour25, 465-474.

Trisko, R. K., & Smuts, B. B. (2015). Dominance relationships in a group of domestic dogs (Canis lupus familiaris). Behaviour152(5), 677-704.

van der Borg, J. A., Schilder, M. B., Vinke, C. M., & de Vries, H. (2015). Dominance in domestic dogs: a quantitative analysis of its behavioural measures. PloS one10(8), e0133978.

Bildnachweise:

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3 Kommentare

  1. Hallo,

    ich halte das gesamte Dominanzkonzept für veralteten Schwachsinn. Der Mensch braucht offenbar immer wieder Herschafts/ Hierarchie Modelle, um sich gut zu fühlen. Eine gute Hundeerziehung hat ziemlich viele Parallelen zur Kindererziehung. Sagt man, dass man über ein Kind „dominant“ sein muss? Nein, jeder würde den Kopf schütteln. Ich lese soviel Mist über die Hundeerziehung und sehe immer wieder verspannte Hund / Halter Duos, wobei der Halter den Fehler macht, entweder irgendwelche Dominanzstrukturen zu verfolgen und krampfhaft durchzusetzen, oder den Hund mit ständigen Markersignalen und intermediären Brücken konfus zu machen.
    Ich bin nicht dominant über meine Hunde, weil ich das nicht nötig habe, ebensowenig wie eine Mutter derlei Quatsch bei der Kindererziehung nötig hat. Meine Erfahrung: 40 Jahre Ausbildung DSHs DDR Leistungslinie und seit zehn Jahren Wolfhunde ( 20-40 Prozent Wolfsanteil) zeigen mir immer wieder, dass der menschliche Herrschaftsanspruch eine Störung ist, welche im Tierreich so nicht vorkommt, bei wilden Wölfen schon mal gleich gar nicht. Ich habe tausende Hunde kennengelernt in meinem Leben. Niemals habe ich einen permanent dominanten Hund gesehen. Ich sehe allerdings viele Hunde die von gestörten Haltern ( welche meist dem Rudelführerbullshit Konzept nachrennen) so verbogen sind, dass ihnen eine normale Kommunikation schwer fehlt. Man würde wissenschaftlicherseits hier von „Reaktivität“ sprechen. Da hilft auch das ständige Reglementieren nicht, das immer stärker, immer öfter erfolgen muss, weil die Bindung nicht stimmt, und keine echte Vertrauensbasis da ist.
    Leute: Schmeißt den Mist über Bord, baut eine liebevolle Beziehung zu euren Hunden auf, integriert sie maximal ins Familienleben, sozialisiert sie gut, lernt ihre Sprache zu lesen und schließt sie als euren besten Freund und Familienmitglied in eure Herzen. Verweigert ihnen vor allem keine Privilegien, lasst sie dort schlafen, wo sie es wollen, die Strecken beim Spaziergang wählen, die sie bevorzugen, lasst sie vor euch, hinter euch, neben euch laufen, nämlich genau dort, wo sie wollen und vor allem Freilauf genießen, und zu den Hunden ( bei gegenseitigem Einvertsändnis) mit denen sie kommunizieren wollen. Füttert sie optimal, gebt ihnen genug geistige und körperliche Auslastung und vor allem auch Ruhezeiten und Rückzugsmöglichkeiten. Legt die Produkte der Hundetrainerindustrie beiseite und beginnt, euren gesunden Menschenverstand einzuschalten, dann klappts auch mit einer gesunden Beziehung zu eurem Hund.

  2. Christine Horn

    Hallo erst mal,

    wie sieht es aus:
    eine Hundetrainerin behauptet nach wie vor steif und fest das alle „Rangniederen Hunde“ NUR auf einer Stelle (Hundeklo) machen dürfen.
    Das min Hund erst dann an die „öffentlichkeit“ darf wenn er IMMER hinter dem Besitzer bleibt, da Hunde die vor dem Besitzer laufen Dominat sind.
    Die Hunde dürfen auch nur im Welpenalter Kontakt zu anderen haben, danach würden sie einen Schaden bekommen.
    Ich habe mittlerweile einige dieser Hunde, deren Besitzer zu dieser Person gehen kennen gelernt und muss sagen das ich das für mehr als nur Tierschutzrelevant halte.

    • Hallo Christine,
      oh man, das ist totaler Schwachsinn, teilweise halte auch ich das für tierschutzrelevant (vor allem das Kontaktverbot). Das ist offensichtlich eine Person, die das Dominanz-Konzept NICHT verstanden hat. Das kommt leider öfter vor und sorgt dafür, dass der Begriff weiterhin so negativ besetzt ist.
      „Das dominante Individuum einer Gruppe wird also nicht immer und ständig auf seine Position beharren und die anderen unterdrücken. Im Gegenteil: ein souveräner „Anführer“ zeichnet sich dadurch aus, dass er nur in wirklich wichtigen Situationen seinen Willen durchsetzt.“

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