Warum kurzköpfige Rassen leiden

Viele brachycephale, also kurzköpfige Rassen (z.B. Möpse oder Französische Bulldoggen) leiden unter dem sogenannten Brachycephalensyndrom. Dieses bringt mehrere gesundheitlich und teilweise lebensbedrohliche Einschränkungen (z.B. Atemnot und gestörte Wärmeregulation) mit sich und stellt eine massive Reduktion der Lebensqualität dar.

Das Brachycephalensyndrom umfasst 5 Hauptkomponenten:

– Zu enge Nasenlöcher
– Zu enge/ deformierte Nasenmuscheln und -gänge
– Zu langes Gaumensegel
– Zu kleiner Kehlkopf/ zu geringer Durchmesser der Luftröhre
– Verkürzter Rachenraum und zu lange Zunge

Röntgenbilder: Vergleich kurzköpfiger Hund (Englische Bulldogge, links) und Hund mit normaler Schädelform (rechts)

Auf den Röntgenbildern sieht man einen Vergleich zwischen einer Bulldogge und einem Hund mit normaler Schädelform. Dabei ist das Gewebe grün abgebildet und Luft schwarz. Man erkennt deutlich, wie aufgrund der verkürzten Schnauzenlänge bei der Bulldogge das Gewebe im Rachenraum stark eingeengt ist, was die Luftzufuhr massiv erschwert (1). Zudem ist die Luftröhre der Bulldogge im Vergleich extrem verengt. Dies beeinträchtigt das Atmen zusätzlich (2).
Außerdem kann man den stark deformierten Kiefer der Bulldogge sehen, der die Nahrungsaufnahme stark behindert (3).

Die betroffenen Tiere zeigen eine große Anzahl verschiedener Symptome wie zum Beispiel sehr geringe Belastbarkeit, Schnarchen aber auch lebensgefährliche Zustände wie Ohnmachtsanfälle.

Petition #qualzuchtstoppen

In der aktuellen Petition #qualzuchtstoppen fordert @victoriamueller eine Konkretisierung des Tierschutzgesetzes, die die Umsetzung eines Zuchtverbotes für stark kurzköpfige Rassen ermöglicht. Gerichtet ist die Petition an Cem Özdemir, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft.

Zur Petition geht’s hier lang:


Zu enge Nasenlöcher = Atemprobleme

Zu enge („stenotische“) Nasenlöcher sind ein erheblicher Faktor, der zu Atemproblemen bei kurzköpfigen Hunden beiträgt. 

Wissenschaftlerinnen haben untersucht, wie hoch der betroffene Anteil bei Möpsen (N=100), Französischen (N=100) und Englischen Bulldoggen (N=66) ist. zusätzlich wurde eine Vergleichsgruppe untersucht, die aus 28 mittel- bis langnasigen Hunden verschiedener Rassen bestand.

Dazu haben sie die Nasenlöcher der untersuchten Hunde in Abhängigkeit vom Grad der Öffnung in vier Kategorien eingeteilt: (siehe Bild unten)

– Grad 1: offene 

– Grad 2: leicht stenotisch

– Grad 3: mäßig stenotisch

– Grad 4: stark stenotisch

Die Nasenlöcher wurden als stenotisch – also zu eng – definiert, wenn sie Grad 3 oder 4 aufwiesen. 

58,2% der untersuchten Möpse, 66,7% der Französischen Bulldoggen und 40,9% der Englischen Bulldoggen litten unter zu engen Nasenlöchern. in der Vergleichsgruppe gab es keinen einzigen Fall.

Studien:
Liu, N. C., Adams, V. J., Kalmar, L., Ladlow, J. F., & Sargan, D. R. (2016). Whole‐body barometric plethysmography characterizes upper airway obstruction in 3 brachycephalic breeds of dogs. Journal of veterinary internal medicine30(3), 853-865.

Liu, N. C., Troconis, E. L., Kalmar, L., Price, D. J., Wright, H. E., Adams, V. J., … & Ladlow, J. F. (2017). Conformational risk factors of brachycephalic obstructive airway syndrome (BOAS) in pugs, French bulldogs, and bulldogs. PloS one12(8), e0181928.

Gestörte Thermoregulation = erhöhtes Risiko für Hitzschlag

Neben der starken Behinderung der Atmung haben die betroffenen Tiere auch eine gestörte Thermoregulation. Während bei Hunden mit normaler Schnauzenlänge aufgrund der feuchten Schleimhäute beim Einatmen  Verdunstungskälte entsteht, bleibt dieser Effekt bei kurzköpfigen Hunden aus. Die eigentliche Funktion – Schutz vor Überhitzung des Schädelinneren – kann somit nicht gewährleistet werden. Das bedeutet, dass diese Tiere besonders anfällig für einen Hitzschlag sind.

In einer aktuellen Studie werteten Tierärzte einer britischen Tierklinik 395 Hitzschlag-Diagnosen und die damit verbundenen Risikofaktoren aus.

Aufgrund der anatomischen Besonderheiten von kurzköpfigen Hunden und die damit verbundenen Schwierigkeiten der Wärmeregulation, verwundert es nicht, dass brachycephale Hunde ein besonderes Risiko haben, einen Hitzschlag zu erleiden.

Ein weiterer Risikofaktor ist Übergewicht. Auch haben größere Rassen generell ein erhöhtes Risiko in Vergleich zu kleineren Rassen.

https://www.nature.com/articles/s41598-020-66015-8/figures/3

Studie: Hall, E.J., Carter, A.J. & O’Neill, D.G. Incidence and risk factors for heat-related illness (heatstroke) in UK dogs under primary veterinary care in 2016. Sci Rep 10, 9128 (2020).
Link zur Studie:
https://www.nature.com/articles/s41598-020-66015-8


Wahrnehmung vs. Realität

In einer weiteren Studie wurden 2168 Besitzer:innen brachycephaler Rassen (Möpse, Französische und Englische Bulldoggen) zur Gesundheit ihres Tieres sowie der Hund-Halter-Beziehung befragt.

Die am meisten berichteten Krankheiten waren Allergien (27%), Hornhautgeschwüre (15,4%), Infektionen der Hautfalten (15%) und Brachycephales obstruktives Atemwegssyndrom (BOAS; 12%).

Knapp 1/5 der Personen gab an, dass ihr Hund bereits mindestens einer korrigierenden Operation unterzogen wurde.

36,5% berichten über Probleme bei der Wärmeregulation und 17,9% gaben Probleme beim Atmen an.

Obwohl ein Bewusstsein für mögliche rassebedingte Gesundheitsprobleme besteht, schätzen 70,9% der Halter:innen ihren Hund als besonders gesund ein. Paradoxerweise bewerten gerade mal 6,8% der Personen ihren Hund als weniger gesund als den Rassedurchschnitt (siehe Bild unten).

Die Hund-Mensch-Beziehung wurde von den Besitzern aller untersuchten Rassen als besonders eng beschrieben.

Der Besitz brachycephaler Hunderassen ist ein komplexes Phänomen, das durch extrem starke Hund-Halter-Beziehungen und unrealistische Wahrnehmungen der Gesundheit des eigenen Tieres gekennzeichnet ist. Demgegenüber steht ein hoher Krankheitsgrad relativ junger Hunde.

Diese Wahrnehmungsverzerrungen scheinen auch bei der Beurteilung der Gesundheit des eigenen Tieres im Vergleich zu anderen Rassevertretern zu bestehen.

Studie:
Packer, R. M., O’Neill, D. G., Fletcher, F., & Farnworth, M. J. (2019). Great expectations, inconvenient truths, and the paradoxes of the dog-owner relationship for owners of brachycephalic dogs. PLoS One14(7), e0219918.


Können kurzköpfige Hunde schlechter kommunizieren?

Hunde besitzen eine hoch differenzierte Gesichtsmuskulatur, die ihnen feinste mimische Kommunikation erlaubt. Die Fähigkeit, diese subtilen Feinheiten im Gesichtsausdruck zu zeigen und lesen zu können, ist sehr wichtig für die innerartliche Kommunikation.

Zweifelsohne habe kurzschnäuzige Hunde aufgrund der stark veränderten Kopfform auch eine veränderte Mimik. Es ist allerdings bisher ungeklärt, inwieweit diese Veränderungen mit Umbildung der Muskelanatomie einhergehen.

Wissenschaftlerinnen der Tierärztlichen Hochschule Hannover haben untersucht, inwieweit sich die Gesichtsmuskulatur von brachycephalen (kurzköpfigen) und dolichocephalen (langköpfigen) Hunden unterscheiden.

Dazu wurden verschiedene Gesichtsmuskeln von verstorbenen Tieren gemessen und jeweils proportional verglichen.

Die untersuchten Muskelgruppen (aus Schatz et al. 2021)

Die Ergebnisse zeigen, dass fast alle untersuchten Muskelgruppen bei kurzköpfigen Hunden starken Veränderungen unterliegen. Aufgrund dieser Umgestaltungen sind beispielsweise Gesichtsausdrücke, die aktive oder passive Demut (schmale Augen, zurückgezogene, glatte Gesichtshaut, „Submissive grin“) oder defensives Drohen (schmale Augen, Lefzen zurückgezogen, lange, spitze Mundwinkel) signalisieren, nicht möglich. 

Die Autorinnen schlussfolgern daraus, dass brachycephale Hunde eingeschränkte mimische Fähigkeiten haben, was zu einer missverständlichen Kommunikation beitragen kann.

Studie:

Schatz, K. Z., Engelke, E., & Pfarrer, C. (2021). Comparative morphometric study of the mimic facial muscles of brachycephalic and dolichocephalic dogs. Anatomia, histologia, embryologia50(6), 863-875.


Weitere Literatur/Links zum Brachycephalensyndrom:

Merkblatt zum Erkennen von tierschutzrelevanten Merkmalen:
https://www.bundestieraerztekammer.de/btk/dtbl/archiv/2017/artikel/DTBl_07_2017_Qualzucht-Beurteilung.pdf

Häufig gestellte Fragen:
http://kleintierklinik.uni-leipzig.de/kurzkopf

Dr. Daniel Koch „Das Brachycephalensyndrom des Hundes (Kurzköpfigkeit)

Ralph Rückert „Hunde, die ihren Tubus lieben

Vorlesung von Kyle Snowdon, Michigan State University „Brachycephalic airway syndrome“:

Mehr zu Krankheiten bei Rassehunden findest du hier:

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