Nicht jeder Streuner sucht ein Zuhause!

A dogs life

An was denkst du, wenn du an Hund denkst? – In den meisten Fällen sind es wohl Hunde, die unter direkter Kontrolle des Menschen stehen. Sie leben in unserem Haus, sie werden gefüttert, wir bestimmen ihren Tagesablauf usw.. Allerdings stellen diese Hunde nur einen kleinen Teil der Welthundepopulation dar.

Geschätzte 700.000.000 bis 1.000.000.000 Hunde leben auf der Erde (je nachdem, welche Publikation man anschaut). Allerdings leben nur ungefähr 17% davon unter menschlicher Kontrolle. Das bedeutet, dass unglaubliche 83% der Welthundepopulation nicht in unserer Obhut leben – sie sind also freilebende Tiere. Sie durchstöbern unseren Müll nach Fressbarem, finden selbstständig Wasser und Unterkunft. Sie haben in den meisten Fällen keine medizinische Versorgung (auch wenn sie in einigen Regionen geimpft werden) und sie pflanzen sich selbstständig fort. Eben so, wie es auch andere Wildtiere tun.

Allerdings ist die Art der Fortpflanzung und Aufzucht der Welpen deutlich anders als bei anderen Caniden. Zum Beispiel pflanzen sich bei fast allen Caniden nur die ranghöchsten (Eltern-)tiere fort. Das ist bei Hunden nicht der Fall. Sie sind promiskuitiv, haben also mehrere Geschlechtspartner. Außerdem kümmert sich bei Hunden der Rüde nicht um den Nachwuchs, wie es bei anderen Canis-Arten üblich ist (weiter Informationen dazu findest du HIER). Man ging lange davon aus, dass diese Veränderungen durch die Anpassung an den Menschen entstanden sind – also weil wir Menschen uns um die Welpen kümmern, müssen nicht beide Elterntiere anwesend sein. Daraus resultierend nahm man auch an, dass Hunde nicht selbstständig (also ohne menschliche Zuwendung) leben bzw. Welpen aufziehen könnten. Zudem war auch in der Wissenschaft die Annahme weit verbreitet, dass unser Haus der natürliche Lebensraum des Hundes sei.

Müllkippe als natürlicher Lebensraum?

In ihrem Vortrag auf der SPARCS-Konferenz 2015, schlägt Kathryn Lord allerdings eine andere Hypothese vor: Die fehlende parentale Brutpflege sowie die anderen Änderungen im Fortpflanzungsverhalten von Hunden ist nicht durch die Anpassung an den Menschen entstanden, sondern durch sie Anpassung an einen anderen Lebensraum: Müllkippen.

„Wenn man einen Straßenhund sieht, sieht man einen Hund, der genau für diese Umgebung geschaffen ist. Man sollte kein Mitleid mit ihm haben. Es ist sein natürlicher Lebensraum und man sollte ihn betrachten, wie auch jedes andere Tier in seinem natürlichen Lebensraum“

(Kathryn Lord, SPARCS 2015)

Streuner vs. Haushund?

Im Herbst 2015 habe ich eine Konferenz auf Sizilien besucht. Dort habe ich mich unter anderem auch mit Roberto Bonanni unterhalten. Roberto und seine Arbeitsgruppe untersuchen seit vielen Jahren verschiedene Streunerpopulationen rund um Rom.

Mit ihm habe ich die Frage diskutiert, ob der natürliche Lebensraum der Hunde nun das Sofa oder die Müllkippe ist. Seine Ansicht dazu finde ich sie ziemlich einleuchtend: Er geht von zwei verschiedenen Populationen und jeweiligen Anpassungen aus. Zum einen gibt es die Streuner, die an das Leben auf der Straße angepasst sind und zum anderen gibt es die Hunde, die mit uns zusammen als Haustiere leben. Auch daran sind sie perfekt angepasst. Daraus folgt auch, dass man den jeweiligen Lebensraum nicht einfach ändern kann. Also ein Hund, der bis jetzt ein kuscheliges Sofa gewöhnt war, wird sich auf der Straße nur schwer zurechtfinden. Allerdings wird sich auch ein Hund, der es gewohnt ist, sein Leben alleine zu meistern und selbstständig Entscheidungen zu treffen, vermutlich schwertun, auf einmal an einen Menschen und dessen Lebensinhalte anzupassen. Sofahund bleibt also Sofahund und Streuner bleibt Streuner.

Die Meinung der Experten zum Thema scheint also eindeutig zu sein:

Wenn man Hunde von der Straße „rettet“, sollte man also genau aufpassen, ob dieser Hund überhaupt gerettet werden will. Denn es spricht einiges dafür, dass manche Hunde genau an diesen Lebensraum angepasst sind.

Glücklicherweise gibt es in den letzten Jahren eine wachsende Anzahl an Studien, die die Hunde in genau diesem Lebensraum untersuchen.

Persönliches Statement: Nein, ich habe nichts gegen Auslandstierschutz. Ganz im Gegenteil – ich habe selbst zwei Hunde aus dem Ausland. Allerdings denke ich, dass man das Thema differenziert betrachten sollte. Selbstverständlich geht es nicht allen Hunde auf der Straße gut. Aber es geht eben auch nicht allen schlecht. Zum Glück gibt es viele Tierschutzorganisationen, die genau das beachten.


Quellen:
„When a stray is not astray“ von Kathryn Lord auf der SPARCS 2015

persönliche Konversation mit Roberto Bonanni/ Herbst 2015

Bildnachweis:
„A dog’s life“ von Bala Sivakumar/ Flickr unter CC BY SA 2.0

8 Kommentare

  1. Ich denke, die elenden Lebensbedingungen von Streunern überall auf der Welt sprechen eine ebenso eindeutige Sprache. Natürlich passen sich die Tiere an, aber ändert das etwa das unsägliche Tierleid, das bei Streunern immer wieder nachgewiesen wird?

    Diese Art von Argumentation kennt man doch schon von der tollen Anpassung unserer „Nutztiere“ an ihren „Lebensraum“ und wie „erfolgreich“ diese Arten doch damit in der Evolution sind.

    Ich kann darüber nur den Kopf schütteln.

  2. Ich habe vor über 10 Jahren mal einen Artikel zum Thema verfasst. Zum Glück waren damals die Möglichkeiten, einen gewaltigen Shitstorm zu organisieren noch nicht so ausgeprägt wie heute…

    Wer´s lesen mag:
    Hunde aus dem Süden (PDF, 2005/2008)
    http://www.houndsclub.de/pdf/sueden-neu.pdf

  3. sehr schöner artikel, danke dafür.
    ich denke aber, dass hunde aus den müllkippen, sehr gut zur sofa fraktion wechseln können. umgekehrt stelle ich mir dies in unseren breitengraden wegen der nahrungssuche etwas schwieriger vor. in anderen ländern sollte jedoch auch dies möglich sein.

  4. Die Überschrift würde ich sofort unterschreiben. Bei meinem letzten Griechenlandurlaub hatte ich eine Begegnung mit zwei Hundekumpels, die offensichtlich befreundet und gut gelaunt, ebenfalls einen kleinen Spaziergang machten. Die haben ja ein super Leben dachte ich sofort. Aber die Medaille hat auch eine Kehrseite. Die zugrundeliegende Einstellung zur Hundehaltung bringt auch eine Menge Verlierer hervor. Auf sich allein gestellte, kranke oder verunfallte Tiere, um die sich niemand kümmert oder sich verantwortlich fühlt. Oder, wie in vielen Ländern üblich, die von Hundefängern eingefangenen und in Massenlagern unter den furchtbarsten Umständen gehaltenen Hunde, für die kein Streunerdasein an einer Müllkippe oder sonstewo vorgesehen ist, sondern die Tötung oder ein furchtbares Dahinvegetieren bis zum „natürlichen“ Ende, um diese Hunde geht es. Sie brauchen Hilfe und wenn die vor Ort nicht geleistet werden kann, sollte keine Chance auf Rettung von vorneherein ausgeschlossen werden.

    • Liebe Brigitte,
      da gebe ich dir absolut Recht. Ich wollte mit diesem Beitrag erreichen, dass dieses Thema ein bisschen differenzierter betrachtet wird, als es (zumindest nach meiner Erfahrung) oft der Fall ist. Ich bin selbstverständlich nicht dafür, dass Rettung generell von vornherein ausgeschlossen wird. Da gibt es natürlich auch extreme Schwankungen, je nachdem, in welches Land bzw. welche Region man schaut.

  5. Am Freitag noch sprach ich mit eine Kundin darüber, dass es Sinn macht aus Sicht der Hunde zu unterscheiden ob sie besser in ihrem Lebensumfeld bleiben oder als so genannte gerette Hunde in völlig andere Lebensumstände transportiert werden. Wir waren uns einig, dass es dafür immer wieder eine differenzierte Einschätzung braucht. Sowohl besagte Kundin als auch ich selbst, leben mit ehemaligen Staßenhunden die die gemeinsame Lebensform sehr schätzen! Mir ist aber wichtig, dass das nicht bei jedem Hund so ist. Aus Sicht einiger Hunde die ich kennen lernen durfte währen sie lieber auf der Straße und in Freiheit geblieben als in Haus und Garten gesperrt und aus ihrer Sicht vollkommen sinnlosen Regelungen unterworfen. Sie sind so unglücklich damit, dass sie ein Leben und auch ein Sterben in ihrem angestammten Umfeld vorgezogen hätten.
    Für mich ist es ein großer Unterschied, ob ich wahrnehme, dass ein Hund sich ein Leben in Deutschland als Haushund als Alternative vorstellen kann, oder ob ich aus Emotion und Mitleid einfach annehme, dass der Hund ein Opfer sei und gerettet werden müsste.

    Es gibt doch diesen wunderbaren Sketch bei dem einer Oma gegen ihren Willen über den Zebrastreifen geholfen wird. Sie wehrt sich heftig, aber der Helfer „meint es doch gut mit ihr“. Er glaubt zu wissen was die Oma braucht. Dadurch bekommt er nicht mit, dass die Oma genau dort stehen will. Sie wartet auf den Bus. Doch den verpasst sie, weil sie über den Zebrastreifen gezerrt wird.

    Ich habe große Wertschätzung für Menschen die Tierleid lindern und Tieren ein besseres Leben verschaffen wollen. Aber manchmal passt es jemandem über die Straße zu helfen und manchmal verhindern wir damit, dass derjenige seinen Bus erreicht

  6. Ich schätze als Mensch und (mittlerweile) absoluter Hundeliebhaber bin ich zu einer objektiven Aussage absolut unfähig!
    Hinzu kommen noch vage Erinnerungen aus Kindertagen – „fass den Hund nicht an und gib ihm nichts zu fressen, sonst werden wir den nie wieder los“. Heißt im Umkehrschluss, gib dem Hund etwas zu fressen und schenke ihm deine Aufmerksamkeit, dann gewinnst du einen treuen Freund.

    Grundsätzlich ist der Mensch für die Entstehung der Rasse verantwortlich und der Hund nimmt in der Tierwelt (für den Menschen) eine absolute Sonderstellung ein. Gegenbeispiel: wer würde schon auf die Idee kommen frei lebende Hasen oder Kaninchen als Haustiere halten zu wollen?
    Natürlich würde auch ich irgendwo eine Grenze ziehen und den Hund lieber in seiner natürlichen Umgebung belassen wollen, wenn es ihm dort eindeutig besser geht. Leider aber gibt es einfach zu viele schlechte Beispiele wo es eben genau so nicht ist und deswegen unser Blick für die Realität etwas getrübt ist. Unsere Galgo- Dame kommt z.B. aus dem spanischen Tierschutz. Galgos aus Spanien ist eines dieser sehr üblen Beispiele.

    Ein sehr emotionales Thema – schön auch mal eine objektive Betrachtung zu sehen.

    LG Wolfhart

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